Der digitale Zwilling ist schon lange Science Fiction-Material: Seit Jahrzehnten träumt man davon, durch dreidimensionale, dynamische und interaktive digitale Abbilder materieller Objekte die Realität vorhersehen und darin eingreifen zu können. Schließlich nutzt auch Superheld Iron Man Hologramme, um Tools und Prozesse zu visualisieren, durchzuspielen und zu steuern. Aber was ist ein digitaler Zwilling im Kontext Smart City? Und was ist dessen Mehrwert neben all den anderen digitalen und datenbasierten Lösungen und Anwendungen auf dem Markt?
Digitale Zwillinge wurden nicht erst für digitale Stadtentwicklung erfunden: In der industriellen Produktion werden dreidimensionale digitale Abbilder materieller Produkte schon seit Jahren für Optimierungsprozesse eingesetzt. Streng genommen ist der digitale Zwilling die genaue digitale Nachahmung einer Realität. Im Kontext der Stadtentwicklung bezeichnet man damit in der Regel etwas lockerer gefasst digitale 3D-Modelle einer Stadt, in denen viele verschiedene Daten für unterschiedliche Anwendungen dargestellt werden.
In so einem urbanen digitalen Modell aus Gebäuden, Straßenzügen und ganzen Stadtquartieren können verschiedene Daten aus unterschiedlichsten Quellen nach und nach hinzugefügt und ergänzt werden. Ziel dessen ist es, den Zwilling zu einem Steuerungsinstrument zu machen, das aktuelle Informationen und Prognosen liefern kann. Aber wo sind die Grenzen für ein Abbild eines so vielschichtigen Konstrukts wie einer Stadt? Der digitale Zwillingen im urbanen Kontext kann kaum alle Prozesse umfassen, die die Stadt als Ganzes ausmachen. Auch ein hochauflösendes virtuelles 3D-Modell, das in (naher) Echtzeit Verkehrs- oder Energieflüsse integriert, vernachlässigt Charakteristiken wie soziale Dynamiken und wirtschaftliche Funktionen. Da diese eine Stadt als System aber letzten Endes ausmachen, bleibt der urbane digitale Zwilling letzlich ein Modell – als ganzheitliches Abbild der Realität kann und möchte man ihn vielleicht auch perspektivisch nicht gestalten.
In einer späteren Ausbaustufe können die Daten mit Modellen und Algorithmen angereichert werden, um ein besseres Verständnis für komplexe Interaktionen und Wechselwirkungen unterschiedlicher Prozesse in der Stadt zu ermöglichen – beispielsweise Zusammenhänge von Wetter, Verkehr, Baustellen und Energiesystemen. Zudem ist es möglich, mittels Simulationen Prognosen für Stadtverhalten oder Planungsvarianten zu schaffen.
Wo in der Entwicklung stehen wir überhaupt?
Modul für Modul zu vernetzten Simulationen
Die wichtigsten Bestandteile eines digitalen Stadtzwillings wurden in den vergangenen Jahren entwickelt und getestet. Es gibt es auch erste kommerzielle und von Kommunen betriebene Lösungen, die den Digitalen Stadtzwilling als Gesamtarchitektur erproben.
Zahlreiche Module eines digitalen Zwillings von Stadt können bereits Open Source und standardisiert und somit einfach replizierbar bezogen werden.
- Die Urbane Datenplattform als Drehscheibe und Verwaltungssystem für statische wie dynamische Daten. Urbane Datenplattformen wie die Open Source Plattform von DKSR beispielsweise werden durch Kommunen bereits eingesetzt.
- 3D-Modelle von Städten in kommerziellen oder Open Source-Versionen erfreuen sich ebenso einer zunehmenden Beliebtheit.
- Für bestimmte Domänen gibt es Modelle für Simulationen und Prognosen, die im Rahmen von Innovationsprojekten oder im Kontext städtischer Dienste im Einsatz sind – beispielsweise Hochwasserfrühwarnsysteme auf Basis von Künstlicher Intelligenz, Energiesteuerung im Quartier oder dynamische Verkehrssteuerung auf Basis von Umweltdaten oder Echtzeitinformationen.
Daneben gibt es aber auch eine Reihe an Forschungs- und Innovationsprojekten, deren Ziel es ist, einen vollständigen digitalen Stadtzwilling zu entwickeln und zu testen. Zwei bekannte sind das deutsche CUT (Connected Urban Twins)-Projekt sowie das europäische Projekt DUET.
- Für das vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen geförderte Projekt Connected Urban Twins kooperieren die Städte München, Leipzig und Hamburg miteinander, um drei verschiedene digitale Zwillinge umzusetzen, welche gemeinsame Elemente enthalten. Diese sollen durch gemeinsame Standards auch in anderen Städten verwendet werden können.
- Im Rahmen des EU-Projekts DUET wird untersucht, wie Entscheidungsfindung im öffentlichen Sektor durch die Entwicklung und den Einsatz von digitalen Zwillingen demokratischer und effektiver gestaltet werden kann. 3D-Stadtmodelle werden dabei zur Erprobung der politischen Auswirkungen in Städten und Regionen genutzt.
Klangvolle Namen, Kürzel und fleißige Entwicklung finden sich also bereits. Und was ist der Mehrwert dieser Entwicklung?
Schritt für Schritt zu vielfachem Mehrwert?
Die Frage des Mehrwerts digitaler Zwillinge ist auch unter den Expert*innen ein Thema für Zwiegespräch. Inwieweit benötigt es eine so komplexe Technologie als Grundlage, um gute Entscheidungen treffen zu können? Müssen wir zu Tony Starks der digitalen Stadtgestaltung werden, um unsere Welt vor den Folgen des Klimawandels zu retten?
Vermutlich wird das eine Streitfrage bleiben. Es gibt aber gute Argumente für den Einsatz urbaner digitaler Zwillinge: Schließlich sieht sich die Stadtentwicklung des laufenden Jahrhunderts mit immer vielschichtigeren Herausforderungen konfrontiert. Klimawandel und Klimaanpassung zwingen dazu, Domänen wie Mobilität, Logistik, Energie oder Wasser vernetzt zu denken und zu planen. Kommunen müssen auf verselbständigte Prozesse reagieren. Der Stadtraum wird zunehmend multifunktional, was im Lebenszyklus der zu planenden Maßnahmen, egal ob Straße, Gebäude, Quartier oder Netz, berücksichtigt werden muss. Die Geschwindigkeit technologischer Neuerungen im Bereich städtischer Infrastrukturen und Lösungen fordern dabei eine ganzheitliche und gleichzeitig dynamische Betrachtung sowie eine große Technologieoffenheit.
(Investitions-)Entscheidungen müssen also unter Bedingungen wachsender Unsicherheit getroffen werden. Und hier liegt die Stärke des digitalen Stadtzwillings: Er ermöglicht Stadtplanenden und Entwickler*innen wie Logistiker*innen, Energieunternehmen, Verkehrsbetrieben und weiteren Entscheider*innen eine bessere, einfachere und gemeinsame Planung auf Basis von Daten. Verschiedene zukünftige Szenarien können mit dem Zwilling simuliert, Extremsituationen getestet und Belastungen von Mensch, Umwelt und Raum vorweggenommen werden, bevor eine Planungsentscheidung fällt. Mit einem digitalen Zwilling steht ein Instrument zur Verfügung, das Partizipation und Kooperation ermöglicht und ein intuitives, visuell einfach transportierbares Verstehen unterschiedlicher Disziplinen und Domänen unterstützt. Mit seiner Hilfe kann zudem in Echtzeit und reaktiv in den Betrieb einer Stadt eingegriffen und so zu reibungsloseren und ressourcensparenden Services der Bürger*innen beigetragen werden.
Diese Schritte zum urbanen digitalen Zwilling als Planungsinstrument zu Prognose- und Entscheidungszwecken sind in Ansätzen in bestehenden Pilotprojekten zu finden. Vollständig ausgereift sind sie aber nicht. Und schließlich ist immer zu bedenken: Die Zukunft bleibt wirklich – und damit in einigen Teilen auch nicht vorhersehbar.
Um zurück zu den Möglichkeiten zu kommen: Während Dienste und Lösungen, die sich aus den bestehenden Nutzungsmöglichkeiten des Zwillings bereits ergeben, durchaus proprietär sein können, da sie mitunter hohe Domänenexpertise erfordern, sollte der digitale Zwilling als Basistechnologie für den möglichst großen Mehrwert möglichst weite, anbieterunabhängige Verbreitung erfahren. Das wiederum gelingt nur mit einem Open Source-Ansatz wie dem der DKSR Offenen Urbanen Datenplattform, mit dem digitale Stadtzwillinge auch replizierbar und in immer neue Umfelder integrierbar werden.
Was meint ihr? Kann uns der digitale Stadtzwilling neue Lösungen bieten – oder finden wir diese mit anderen Tools viel einfacher? Bei Fragen zum Thema, Zweifel und Anmerkungen wendet euch jederzeit gerne an unsere Experten Lukas Koch und Alanus von Radecki!